Ich und mein iPad Pro

Warum ein iPad auch für blinde Menschen klasse ist

Das ich diesen Artikel hier einmal schreiben würde, hätte ich ehrlich gesagt bis vor einigen Monaten selber nicht gedacht. Denn bisher war für mich ein iPad ganz klar eine klasse Anschaffung für Menschen mit Sehrest aber für vollblinde Menschen? Darin habe ich keinen Sinn gesehen. Mittlerweile bin ich da aber ganz anderer Auffassung und was an einem iPad auch für vollblinde Menschen klasse ist, darum soll es im folgenden Text nun gehen.

Ich selbst arbeite momentan noch mit dem iPad Pro 12.9 Zoll der ersten Generation mit einem Apple Smart Keyboard. Auf diesem Gerät entsteht auch gerade dieser Artikel.

Das Bedienkonzept

Was mir früher auf iPads nur wenig Freude gemacht hat, war die Navigation mit den Fingergesten. Ich hatte oft den Eindruck, dass es die große Fläche des Touch Screens für VoiceOver schwerer gemacht hat, meine Fingergesten zu erkennen. Technisch muss das iPad ja eine wesentlich größere Fläche auf mögliche Berührungen überwachen und möglicherweise hat das für eine gewisse Trägheit gesorgt. Im Endeffekt hat das iPad jedenfalls häufiger Gesten falsch interpretiert, die am iPhone wunderbar funktionierten. Letzteres ließ mich auch ausschließen, dass es an meiner Fingerfertigkeit liegen könnte. Besonders die Fingergesten mit vier Fingern, mit denen ich den VoiceOver-Fokus nach ganz oben oder nach ganz unten schicken kann (vier Finger obere bzw. untere Bildschirmhälfte einmal tippen) schienen extrem unzuverlässig zu funktionieren. Das fand ich sehr schade, weil mich diese Gesten doch sehr schnell an meine Lieblings-Apps bringen können, wenn ich sie an den Anfang oder ans Ende des Bildschirms platziere. Aber auch andere Gesten wurden nicht zu meiner vollen Zufriedenheit ausgeführt. Manchmal hat das iPad sogar einen einfachen Doppeltipp mit einem Finger als Wischgeste nach unten interpretiert, wenn ich ein kleines bisschen verrutscht bin. Also kurz gesagt: das iPad fristete bei mir eher ein Schattendasein und hatte seine großen Auftritte bei sehbehinderten Besuchern auf Messen. Mein Hauptgerät war das iPhone und der Mac.

Dann habe ich aber die Bedienung mit dem Apple Smart Keyboard für mich entdeckt. Damit hat sich meine iPad-Nutzung vervielfacht und es ist in vielen Fällen zu meinem Hauptgerät geworden. Ich erledige damit mittlerweile verschiedene Aufgaben, bei denen ich jetzt auch von den nur für iOS verfügbaren Apps profitieren kann. Ich schreibe mein Tagebuch damit, rufe e-Mails ab, surfe im Netz, lerne spanisch, nutze es zum meditieren, mache Textverarbeitung, pflege meinen Kalender und und und. Genauer werde ich darauf weiter unten noch eingehen.

Klar kommt die berechtigte Frage, weshalb denn ein iPad? Das iPhone lässt sich ja auch mit einem externen Keyboard benutzen. Stimmt. Nur profitiere ich am iPad vom geteilten Bildschirmlayout vieler Apps, habe die tollen Tastenkombinationen mit der Befehlstaste zur Verfügung und habe außerdem einen deutlich besseren klang. Da kann man sich natürlich drüber streiten aber mir ist guter Klang wichtig.

Und weshalb das Smart Keyboard von Apple und kein bluetooth-Keyboard eines anderen Herstellers? Weil ich einfach traumhaft gut darauf schreibe. Und da möchte ich besonders das Smart Keyboard des 12.9 Zoll Modells hervorheben. Tastengröße und -abstand sind für meine Hände perfekt. Außerdem ist es wasserdicht und braucht niemals eine Aufladung. Den Strom holt es sich nämlich über den Smart Connector der Pro Modelle. Es kommt also nie vor, dass es gerade dann batterientechnisch schlapp macht, wenn ich es brauche. All das ist mir der vergleichsweise hohe Preis wert.

Auch kann ich mit dem Keyboard alle relevanten Fingergesten über Tastenkombinationen ausführen und sie funktionieren schnell und zuverlässig, inklusive meiner geliebten Gesten mit vier Fingern. Darüber hinaus bietet das geteilte Bildschirmlayout vieler Apps mit der Tastatur ebenfalls Vorteile in der Bedienung und zwar ganz ohne, dass ich den Container über den Rotor brauche.

Die entscheidenden Tastenkombis

Das iPad ist nicht nur von den Ausmaßen dem Mac näher, als dem iPhone. Auch eine Vielzahl Tastenkombis erinnert sehr stark an die Fähigkeiten von VoiceOver unter Mac OS. Sie alle hier aufzuzählen, ist nicht Ziel des Artikels. Neben dem häufigen Wechsel zwischen Schnellnavigation ein und aus, sind für meine Arbeit am iPad aber die folgenden Tastenkombis bei eingeschaltetem Schnellnavigationsmodus entscheidend. Sie haben mich letztlich mein iPad lieben gelehrt:

  • CTRL + Pfeil nach oben / unten = an den Anfang bzw. ans Ende des Bildschirms springen (entspricht vier Finger oben / unten tippen)
  • CTRL + Pfeil rechts / links = zwischen den zu meist zwei Spalten des geteilten Bildschirmlayouts wechseln (Container-Funktion im Rotor)
  • Wahl + Pfeil oben / unten = im Bereich des Fokus nach oben oder unten skrollen (drei Finger nach oben und unten streichen, nur deutlich schneller und weniger Fehleranfällig)
  • Wahl + Pfeil rechts / links = bildschirmweise nach rechts oder links blättern (drei Finger rechts / links, nur schneller und zuverlässiger)

Besonders die Tastenkombis CTRL + Pfeil links oder rechts verwende ich häufig. Es bringt den VoiceOver-Fokus nicht immer da hin, wo ich es erwartet hätte aber es funktioniert in der selben App immer gleich, so dass ich einfach lernen kann, wo mich diese Geste jeweils hinbringt. In manchen Apps bewirkt sie gar nichts. Dann weiß ich, dass der Entwickler noch nicht ausreichend VoiceOver-Kompatibilität hergestellt hat. In aller Regel ist sie aber sehr nützlich. Die folgenden Beispiele werden das hoffentlich ein wenig klarer machen.

Arbeiten in Mail

Mail sitzt bei mir im Dock auf dem ersten Platz. Normalerweise drücke ich auf dem Homebildschirm also CTRL + Pfeil rechts und lande im Dock auf Mail. Dann drücke ich CTRL + Wahl (VO) + Leertaste. In der geöffneten Mail-App steht der Fokus standardmäßig ganz oben links. Einmaliges Drücken von CTRL + Pfeil rechts, bringt mich zur ersten ungelesenen Mail. Klicke ich darauf mit VO + Leertaste, öffnet sie sich und der Fokus springt automatisch in die erste Zeile der Mail. Hier kann ich jetzt, bei weiter eingeschalteter Schnellnavigation, mit Pfeil rechts durch den Mailtext wandern, den mir VoiceOver vorliest.

Um wieder zur Liste der Mails am linken Bildschirmrand zu kommen, drücke ich CTRL + Pfeil nach oben und wieder CTRL + Pfeil rechts. Will ich dort gerade keine Mail öffnen, sondern mir nur ansagen lassen, welche Mails ich habe, drücke ich ab hier wieder Pfeil rechts, natürlich ohne die CTRL-Taste. Will ich die Rotoraktionen verwenden, beispielsweise die Mail im Fokus löschen, drücke ich zweimal Pfeil nach oben und drücke VO + Leertaste. Alternativ geht hierfür übrigens auch in allen Fällen, die rechte, linke und die Pfeil nach oben Taste gemeinsam zu drücken.

Natürlich kann ich in Mail auch per Tastatur eine neue Mail erstellen oder auf eine erhaltene Mail antworten oder sie weiterleiten. Um alle dafür interessanten Tastenkombinationen zu erfahren, halte ich einfach für mehrere Sekunden die Befehlstaste gedrückt. Es öffnet sich ein Fenster, in dem mir alle verfügbaren Kurztasten angezeigt werden.

Arbeiten in Safari

Auch das Surfen im Web macht auf dem iPad Pro mit dem Apple Smart Keyboard richtig Spaß. Denn natürlich gibt es auch hier eine Menge Tastenkombis, die ich erfahre, wenn ich in der App die Befehlstaste gedrückt halte. Und dazu gibt es noch ein paar VoiceOver-spezifische Tastenkombis.

Hier mal ein Ablauf, wie ich mich im Internet bewegen kann:

Ich drücke Befehl + l, um die Adressleiste zu öffnen. Hier trage ich nun einen Google-Suchbegriff oder direkt eine Internetadresse ein. Die Eingabetaste schickt meine Anfrage ab und die neue Internetseite baut sich auf. Auf der Internetseite kann ich entweder mit Pfeil rechts und links navigieren, über VoiceOver-Tastenkombis und, das gilt natürlich für alle Apps, ich kann jederzeit auch die bekannten Fingergesten auf dem Touch Screen verwenden.

Aber bleiben wir mal bei der Tastatursteuerung. Ist die Schnellnavigation eingeschaltet, lässt sich mit VO + q die schnelle Navigation für einzelne Buchstaben ein und ausschalten. Ist dieser Modus an, reicht es zum navigieren, einzelne Buchstaben zu tippen.

  • h = nächste Überschrift
  • Umschalt + h = vorherige Überschrift
  • l = nächster Link
  • Umschalt + l = vorheriger Link
  • j = nächstes Formularfeld
  • Umschalt + j = vorheriges Formularfeld

Es lohnt sich, alle Buchstaben mal auszuprobieren. Eine ganze Menge davon sind als Kurztaste belegt.

Achtung! Es ist wichtig, diesen Schnellmodus mit VO + q immer wieder zu verlassen. Sonst gibt’s Schwierigkeiten beim schreiben von Text in Eingabefeldern.

Auch sehr hilfreich ist die VoiceOver-Suche. So lassen sich auf Internetseiten schnell bestimmte Begriffe wie „Kontakt“, „Impressum“ oder „Login“ finden. Dazu drücke ich VO + f und lande gleich im Suchfeld. Hier trage ich den Suchtext ein und drücke die Eingabetaste. Lande ich noch nicht gleich auf dem richtigen Suchtreffer, kann ich mit VO + g weiter danach suchen. Sehr praktisch, wirklich!

Aber auch die Pfeiltasten in Kombination mit der CTRL-Taste sind ziemlich praktisch in Safari. Bin ich auf der Seite unterwegs, komm ich mit CTRL + Pfeil nach oben normalerweise an den Anfang der Seite. Nochmal CTRL + Pfeil nach oben setzt den Fokus auf die Zurück-Taste ganz links oben am Bildschirm. CTRL + Pfeil nach unten bringt mich zum letzten Tap. Denn anders als Safari am iPhone, kann Safari auf dem iPad auch mit Taps umgehen. Einen neuen Tap öffnet man übrigens mit Befehl + t und mit Befehl + w schließt man ihn wieder. So kann man auch ohne den neuen Splitt-Screen in Safari, bei dem ich zwei Internetseiten nebeneinander öffnen kann, schnell was auf einer anderen Web-Seite nachsehen oder schnell was googeln.

So wie man mit drei Fingern nach oben streicht, um eine Bildschirmseite weiter zu blättern, kann ich hier natürlich auch Wahl + Pfeil nach oben oder unten drücken, um das zu erledigen. Manchmal ist das praktisch, wenn ich weiß, auf einer bestimmten Seite finde ich die gesuchte Info etwa in der Mitte. Dann skrolle ich mit Wahl + Pfeil nach unten da hin und tippe dann mit einem Finger in die Mitte des Bildschirms.

Arbeiten mit Notizen

Als drittes Beispiel, kommen hier ein paar Hinweise zu Notizen. Denn sich ausführliche Notizen machen zu können, genieße ich am iPad ebenfalls sehr. So brauche ich nicht mit der etwas fummeligen virtuellen Tastatur zu schreiben und habe keinen Ärger mit Erkennungsfehlern, beim Diktieren von Text.

Öffnen kann ich Notizen beispielsweise, in dem ich Siri über einen der mittlerweile zahlreichen Möglichkeiten aufrufe. Ich sage beispielsweise: „Hey Siri, öffne Notizen App.“ Anschließend kann ich mit Befehl + n eine neue leere Notiz erstellen und gleich losschreiben.

In Notizen lohnt sich auch definitiv ein Blick in die Liste der verfügbaren Tastenkombinationen. Dafür hält man die Befehlstaste so lange gedrückt, bis das Fenster mit der Auflistung dieser aufgeht. Die Liste ist hier ziemlich lang und reicht von Textformatierung, über Checklistenverwaltung, bis zu Befehlen zum editieren der aktuell bearbeiteten Notiz.

Und bitte nicht außer Acht lassen, die Pfeiltastenbefehle in Kombination mit der CTRL-Taste. Hier steuert VoiceOver eine ganze Menge Ziele auf dem Bildschirm an. Unter anderem springe ich hiermit beispielsweise von der Ordnerliste zur Liste mit den Notizen im ausgewählten Ordner. Ich empfehle, die möglichen Tastenkombinationen einfach mal durchzugehen und damit herumzuspielen. Auch hier haben diese Tastenkombis den Umgang mit Notizen erheblich vereinfacht und meinen Spaß an der App klar erhöht.

Gleichzeitig verwende ich auch wieder die Fingergesten, wo ich es für sinnvoll halte. Um beispielsweise zum eigentlichen Notizfeld zu kommen, tippe ich einfach in die rechte Seite des Bildschirms meines iPads. Dann bin ich sofort da, wo ich hin wollte und mache gleich dort auch den Doppeltipp mit einem Finger. Danach wandern meine Hände wieder zur Tastatur.

Wo es noch hakt

Ganz klar ist, dass auch am iPad nicht alles nur Gold ist, auch wenn man den Glanz schon erahnen kann. Trotzdem stoße ich immer wieder an Grenzen, die ich dann an Apple melde und hoffe, dass sie korrigiert werden. Aber das ist überall so und lässt mich nicht verzweifeln.

  • Schnellnavigation: Es kommt häufig vor, dass sich die Schnellnavigation automatisch ein- und ausschaltet. Das ist in aller Regel auch sinnvoll. Öffne ich beispielsweise ein Textfeld, soll sie ausgehen. Verlasse ich dieses Textfeld, soll sie wieder eingeschaltet werden. Was mich stört ist, dass VoiceOver das immer mit dem recht langen Ausdruck „schnelle Navigation ein“ bzw. „schnelle Navigation aus“ begleitet. Das kann bei häufigen Wechseln schon nerven. Deshalb fände ich einen Sound hier angenehmer, anstelle eines Textes mit 7 Silben.
  • Doppeltes Lesen von Zeilen: Wenn man längere Texte verfasst und anschließend mit den Pfeiltasten zeilenweise navigiert, liest VoiceOver immer wieder Zeilen doppelt vor, verschluckt dabei aber den Inhalt der eigentlichen Zeile. Ich gehe dann wieder nach oben und wieder nach unten, dann geht’s. Ein bisschen nervig ist das aber schon.
  • Erste und letzte Zeile in mehrzeiligen Textfeldern wird nicht gesprochen: In unterschiedlichen Apps wird die erste und letzte Zeile nicht korrekt vorgelesen, wenn man mit Befehl + Pfeil nach oben bzw. unten dort hin springt. VoiceOver sagt stattdessen „Dokumentanfang“ bzw. „Dokumentende“. Man kann sich mit der Abfrage der aktuellen Zeile mit VO + l behelfen. Das ist aber eine extra Tastenkombi, die vermeidbar wäre.
  • Escape: Und schließlich fehlt mir am Smart Keyboard von Apple die Escape-Taste. Ich behelfe mir mit der zigzag-Geste mit zwei Fingern, was in aller Regel auch gut geht. Trotzdem wäre mir eine Taste hier lieber.

Mein persönliches Fazit

Es gibt noch eine Vielzahl an Funktionen zum iPad zu besprechen. Auf den Splitt-Screen bin ich beispielsweise noch gar nicht eingegangen. Mir scheint dieser Artikel aber jetzt schon lang genug zu sein.

Ich plane derzeit bereits zwei iPad-Kurse für blinde und sehbehinderte Nutzer. Die Ankündigungen dazu, werden dann auf meiner Seite zu den Workshops und Terminen zu finden sein.

Auch wenn das iPad den Mac noch nicht in allen Punkten für meine Anforderungen ersetzen kann, so ist es doch eine Frage der Zeit, bis das der Fall sein wird. Denn mit zunehmender Zahl blinder iPad-Nutzer, werden auch die noch bestehenden Unzulänglichkeiten ausgeräumt werden. Mit den vielen Tastenkombinationen für die Apps selbst und die steigende Zahl Tastenkombis von VoiceOver, wird das iPad immer interessanter für alle, denen das komplexe Betriebssystem eines Macs zu umfangreich ist und das schlankere iOS des iPads genügt.

Auch die Hardware des iPads hat ein paar Vorteile gegenüber dem Mac. Zum einen ist das iPad leichter und schlanker, als ein MacBook und passt damit besser in den Rucksack. Und zum anderen gibt es für das iPad die Möglichkeit, eine SIM-Karte einzulegen, mit der ich dann überall Zugang zum Internet habe, ohne auf ein W-Lan oder das iPhone als Hotspot zurückgreifen zu müssen.